Die durch scheinbar unverrückbare Gesetze geordnete Physik kennt ein erstaunliches Phänomen: die verschränkten Teilchen, i. e. zwei Teilchen, die sich gegenseitig bedingen und unabhängig von ihrer Entfernung zueinander ein einheitliches System bilden – eine Konstellation, die fast schon wie eine Allegorie der Liebe zwischen zwei Menschen anmutet. Und Letztere erforschten in all ihren hellen und dunklen Schattierungen, die Zeit eines beseelten Chansonabends, Fabienne Elaine Hollwege und Jonas Vietzke im Kasemattentheater.
Ein klein wenig Pierrot und Colombine (maskenhaft-weiß geschminkte Gesichter), ein Stück weit Adam und Eva (barfuß) und eine Spur Baptiste Deburau und Garance aus Carnés „Les enfants du paradis“ – so könnte man die einladende Mischung beschreiben, die das Publikum am Donnerstag Abend erleben konnte.
Ein im Dunkeln gesungenes Wiegenlied eröffnete den Abend und legte sogleich einen passend innigen Rahmen für das musikalische Zwiegespräch, das folgen sollte, und bei dem die Liederfolge den Zuhörer durch alle Etappen einer Liebesbeziehung führte und zugleich einen schlüssigen erzählerischen Bogen spannte, der in einer optimistischen Note endete, bei der die alltäglichen, kleinen und ach so bewegenden Nichtigkeiten des Paarlebens – rezitativ – Revue passiert wurden.
Vom zaghaften Erwachen der Gefühle, über die sprichwörtlichen Schmetterlinge im Bauch und eine verschmelzende Zweisamkeit bis hin zu Entfremdung und blankem Trennungsschmerz, wurde die regelrechte Achterbahn der Gefühle ohne Pathos, gar Sentimentalität, jedoch mit einer überraschenden Reife und Verklärtheit präsentiert.
Kraft und Zerbrechlichkeit
Genauso phantasievoll wie abwechslungsreich arrangierten die beiden Künstler hierbei die Musik, und ließen ebenfalls die Stille gebührend klingen. Sie wechselten nicht nur fliegend Gemütslagen, sondern auch das Instrument – Gitarre und Akkordeon, die passenderweise die dementsprechenden Assoziationen weckten –, um die poetisch-verspielten, dann wiederum zerrissen-verletzten Texte zu begleiten. Stimmlich gestanden konnte sich Hollwege durchaus erlauben, gar ins Expressionistische vorzudringen – faszinierend dabei, wie nicht nur der Tonfall, sondern die gesamte Körpersprache und Mimik mit dem Sprachwechsel aus der charismatischen Interpretin, die bestechend Kraft und Zerbrechlichkeit vereint, eine völlig andere Person zu machen schien.
Vor allem bei der Sparsamkeit der inszenatorischen Mittel – ein kurzer Blick, ein fast unmerkliches Zucken der Augenbrauen – machte sich das schauspielerische Können und die symbiotische Vertrautheit der beiden Darsteller bemerkbar.
Ein kleiner Wermutstropfen sei dennoch vergossen – denn im überaus passenden, intimen Rahmen des Kasemattentheaters wäre das Mikrophon eigentlich überhaupt nicht notwendig gewesen.
von Vesna Andonovic / Fotos: Marc Wilwert