91 Kerzen für 91 luxemburgische Opfer

Antony Léonard, Baulesch Armand, Baum Pierre, Becker Gusty, Bernardy Jean-Paul, ... so beginnt die lange Liste mit den alphabetisch geordneten Namen der 91 Luxemburger „Jongen“, die in der Nacht zum 31. Januar 1945 von den Nazis hingerichtet wurden. Die Ermordung von 819 Häftlingen im Zuchthaus Sonnenburg, dem heutigen Slonsk, gilt als eines der letzten großen NS-Verbrechen. Zwei Tage später erreichte die Rote Armee das Lager und entdeckte die Leichen.

823 Häftlinge des Zuchthauses Sonnenburg, etwa 90 Kilometer östlich von Berlin im heutigen Polen (daher der Name Slonsk), wurden in Zehnergruppen per Genickschuss hingerichtet. Ohne Prozess. Gegen 22 Uhr begann das Gemetzel, das nur vier überlebten.

Um 14.30 Uhr erklang am Sonntag dem 30. Januar die Melodie „Mäi Ländchen“ von Théodore Decker (Musik), ebenfalls Komponist des „Lauda Jerusalem“, und Willy Goergen (Text). Clairon d'honneur Edmond Faber spielte sie. Zuvor hatten sich zwei Fahnenträger der „Tambower“ und der Düdelinger Sektion der Zwangsrekrutierten hinter dem ewigen Feuer auf dem „Kanounenhiwwel“ aufgestellt.

Dort wurde bei kaltem, aber trockenem und sonnigem Winterwetter der schlichte erste Teil der Erinnerungszeremonie an die 91 Luxemburger Opfer abgehalten, die dem verbrecherischen Massaker im Zuchthaus Sonnenburg zum Opfer fielen. Die Zeremonie findet jedes Jahr entweder am Sonntag vor oder nach dem 30. Januar statt, dem Tag, an dem sich fernab der Heimat die Tragödie ereignete, die sich in der Nacht zum heutigen Montag zum 66. Mal jährte.

Gemeinsam legten die Vorsitzende des „Comité directeur pour le souvenir de l'enrôlement forcé“ (CDSEF), Marie-Anne Thommes, der Vizepräsident der „Fédération des enrôlés de force, victimes du nazisme“, Marc Mathekowitsch, und der Präsident der „Amicale des anciens de Tambow“, Gaston Junck, im Beisein der chargée d'affaires a.i. der polnischen Botschaft, Ewa Sulfin-Jacquemart, Blumen nieder, um der Ermordeten zu gedenken.

Nach der „Sonnerie aux morts“ und der Nationalhymne begaben sich die Anwesenden in die Krypta der Kathedrale, um dem zweiten Teil der Zeremonie beizuwohnen.

Urne mit blutbefleckter Erde als symbolisches Grab

Als die Teilnehmer der Gedenkzeremonie in der Krypta eintrafen, brannten dort bereits 91 Kerzen, um an die 91 Luxemburger Opfer zu erinnern. Kurz vor 15 Uhr – das Mittelschiff war fast gänzlich besetzt – leitete Clairon d'honneur Edmond Faber den zweiten Teil der Zeremonie ein – mit dem Lied „Eise gefalenen a vermësste Jongen zum Gedenken“ von Henri Reiter/R. Rasquin, gefolgt vom Lied „La Nuit“ von Jean-Philippe Rameau (arr. J. Noyan), das vom Gesangsensemble „Akabella“ unter der Leitung von Gilbert Kohn, an der Orgel der Krypta begleitet von Marie-Josée Hengesch, mehrstimmig vorgetragen wurde.

Im Namen des CDSEF und der Zwangsrekrutierten-Föderation ergriff anschließend Marie-Anne Thommes das Wort. Sie dankte allen Anwesenden, insbesondere den Familien und Verwandten der Opfer sowie den Vertretern patriotischer Vereinigungen für die Teilnahme an der besinnlichen Feier. Nachdem sie an das symbolische Grab, eine Urne mit blutbefleckter Erde aus Slonsk, das sich in der Kapelle des „Monument de la solidarité nationale“ am „Kanounenhiwwel“ befindet, erinnert hatte, wies sie auf die 91 Einzelschicksale der luxemburgischen Opfer hin – die meisten waren 19, 20, 21 Jahre jung –, deren Leben voller Hoffnungen, Träume und Wünsche auf einen Schlag zerstört wurden. Mit dem Versprechen „Mir vergiessen Iech net“, rief sie einmal mehr dazu auf, dem Vermächtnis der „Jongen vu Sonnebuerg“ einen festen Platz in den Gedanken der Luxemburger zu sichern.

Nach dem Spiritual „He never said a mumbalin' word“ (arr. Hal. H. Hopson), dem „Requiem pour un enrôlé de force“ von Kamerad Jean-Pierre Kemmer, während dem die Bilder der 91 Opfer eingeblendet wurden, einer Gedenkminute für alle Opfer von Krieg und Gewalt sowie dem „Pie Jesu“, einem Auszug aus dem Requiem von Gabriel Fauré mit als Solistin Laurie Dondelinger, sprach Dompropst André Heiderscheid ein Gebet.

Gebet für über 253 offiziell bekannte Opfer

In dieses schloss er neben den Toten von Sonnenburg ebenfalls die über 253 offiziell bekannten Opfer von Torgau, Diez/Lahn, Frankfurt/Main, Schepsdorf/Lingen, Siegburg, Hinzert, Köln/Klingelpütz, Halle, Düsseldorf, Lyon (F), Natzweiler-Struthof (F), Genevaux (B), Lagland (B), Lierneux/Baraque Fraiture (B), Mussy (B), Offange (B), Remoiville (B), Thibesart (B), Vielsalm (B) und jene im Bunker von Heinerscheid mit ein. So hieß es u. a.: „Däi Christus huet deenen, déi esou stierwe, wéi si gestuerwe si, gesot: ,Kräischt net, sidd frou, jo jubiléiert, well Äre Loun am Himmel gëtt grouss!‘“ (...) „Éiwege Gott, maach Du aus hinnen bei Dir an der Éiwegkeet, wann et net scho geschitt ass, eppes wéi d'Patréiner vun dem neie, souveräne, fräie Lëtzebuerg!“

Mit dem Lied „Ons Jongen“ von René Schmit (arr. Gilbert Kohn) und dem Absingen der ersten und vierten Strophe der „Heemecht“ klang die Gedenkfeier aus.
(Text: J-P S, Fotos: SW)