Dass die Escher Rockhal binnen fünf Jahren zur international angesagten First-Class-Adresse avancierte, wurde einmal mehr am Sonntagabend vor vollem Hause deutlich, gab sich doch die weltweit erfolgreichste Hardrockband Kontinentaleuropas die Ehre: die Scorpions aus Hannover. Auf zwei Jahre ist deren Farewell-Tour programmiert, ein letztes Mal wollen die Altherren, die in vier Jahrzehnten über 100 Millionen Platten verkauft haben, ihrem generationenübergreifenden Publikum noch einmal alles geben, alles zeigen, um dann, eigenen Angaben zufolge, in Würde abzutreten.
Gleich vorneweg: Wenn sie ihre derzeitige Form bis zum Schluss behaupten – nächstes Jahr steht u. a. noch eine ausgedehnte Russland- und Sibirien-Rundreise auf der Agenda –, geht die Sache mit der Würde voll in Ordnung. Denn die wilde, gefährliche Rockstar-Mackerpose steht ihnen, bei aller altväterlichen Freundlichkeit, nach wie vor gut zu Gesicht, zumal wenn letzteres, wie bei Bandleader Rudolf Schenker, mit einer dicken Sonnenbrille ausgeschmückt ist. Hat der hochgewachsene Gitarrero dann noch ein Piratentuch um den Kopf gewickelt, verrät lediglich der geschulte Blick auf die nicht mehr ganz so gestählten Oberarmmuskeln, dass wir es hier nicht mit einem Moschusduft versprühenden Mittdreißiger vom „Men's Health“-Cover zu tun haben, sondern – man mag's kaum glauben – mit einem weisen, gereiften Monsieur, einem Yoga- und Ayurveda-Praktiker, der trotz seiner 62 Jahre die rasante „Windmühle“ auf dem Saiten-instrument immer noch perfekt beherrscht.
Auch Sänger Klaus Meine ist Jahrgang 1948, auch ihn kann niemand sich anders vorstellen als im schwarzen, engen Bühnenleder. Nun ja, bei den ersten zwei, drei Stücken („Sting in the Tail“, „Make It Real“, „Bad Boys“) mag die bange Frage aufkommen, ob er's noch so drauf hat wie früher. Doch dann findet der Tonmeister den richtigen Aussteuerungspegel, und Meines Stimme klingt so voll und hoch und klar wie eh und je, und man staunt, wie das schmächtige Kerlchen mit seinen 168 Zentimetern Körpergröße das nur hinbekommt. Von ausgefeilter Artistik ist zudem der gezielte Wurf des Tamburins nach geleistetem Einsatz, über acht, zehn Meter flugs in die Hände eines auffangbereiten Bühnenroadies.
Der dritte Altmeister im Bunde ist Matthias Jabs (55), der für nahezu jedes Lied eine andere Gitarre parat hat, darunter die von ihm selbst kreierte Mastercaster, ein klanglich und handwerklich sehr stimmiges Instrument, das im Verbund mit Schenkers klassisch-futuristischen Flying-V-Gitarren zum charakteristischen Sound der Scorpions beiträgt.
Zu diesen drei hannoverschen Urgesteinen gesellen sich der Pole Pawel Maciwoda (43) am Bass, ein grundsolider Metalrocker, dessen schwarze Mähne optisch den Takt vorgibt, sowie der Schlagzeuger James Kottak (47) aus Kentucky, ein Wahnsinniger, der sich in seinem zehneinhalbminütigen Solo „Kottak Attack“, sechs Meter über dem Bühnenboden thronend und unter Absturzgefahr, bis zum totalen Gehtnichtmehr verausgabt, unterlegt mit einer Video-Choreographie, in der er sich anhand ausgewählter, ästhetisch teils fragwürdiger Plattencover quer durch die Bandgeschichte komödiantisch in Szene setzt.
Überhaupt ist es die Show, das bis ins Detail ausgefeilte Zusammenspiel von über- wältigender Optik und kompromissloser Akustik, die ein Scorpions-Konzert zu einem besonderen Erlebnis macht. Die Herren servieren Altes („The Zoo“) und Neues („The Best Is Yet To Come“), harte Kracher („Dynamite“, „Blackout“, „Big City Nights“, „Rock You Like A Hurricane“) und weiche Balladen („Send Me An Angel“, „Holiday“, „Wind Of Change“, „Still Loving You“), spazieren/sprinten auf der bis weit ins Publikum hinaus-ragenden Bühnenverlängerung rauf und runter, kommunizieren ständig mit den Fans, überhäufen sie mit Souvenirs wie Drumsticks oder Gitarrenplektra. Außer Kottak, dem tattooübersäten Clown, haben sie es nicht mehr nötig, die manierierte Rampensau raushängen zu lassen. Und so plaudert Klaus Meine von den uralten Zeiten, als die Gruppe, damals noch völlig unbekannt, durch Luxemburger Festsäle (Oberkorn, Düdelingen, Hollerich) tourte, oder schwärmt von den Auftritten in der früheren Sowjetunion, wo die Scorpions ihren bescheidenen Part zum Ende des Kalten Kriegs beisteuerten.
Ganz am Ende des Konzerts, bei Zugabe Nr. 2, gibt's dann noch eine Überraschung für Spezialisten: Herman „ze German“ Rarebell, der Saarländer, der von 1977 bis 1996 die Scorpions-Drums bediente, nimmt an seiner alten Wirkungsstätte Platz und trommelt zu „No One Like You“. Ein allerletztes Mal kehren die umjubelten, durchgeschwitzten, erschöpften Helden mit „When The Smoke Is Going Down“ ins Scheinwerferlicht zurück, dann fällt der Vorhang in der Rockhal definitiv. (von Pierre Lorang / Fotos: Serge Waldbillig)