Interview mit „Raschpëtzer“-Pionier Nicolas Kohl

Vor 25 Jahren stieg Nicolas Kohl als erster Mensch nach fast 2 000 Jahren in die unbekannte Welt der „Raschpëtzer“ im Helmsinger Wald hinab. Das „Luxemburger Wort“ unterhielt sich mit dem ehemaligen Präsidenten des Walferdinger „Syndicat d'initiative et de tourisme“ über die faszinierende Erforschung der „Wichtelslöcher“ – und seine
Visionen für die Zukunft.

Herr Kohl, in diesem Jahr sind es 25 Jahre her, dass Sie und Georges Faber in einen der „Raschpëtzer“ hinabstiegen – ohne zu wissen, was Sie unten erwarten würde. Bestimmt ein aufregendes Erlebnis ...?

Ja, ich war von Jugend an ein Freund von Abenteuern und Geheimnissen. Was sich unter dem Boden befindet, hat mich immer fasziniert. Vor 25 Jahren hatte noch niemand eine realistische Vorstellung, worum es sich bei den „Raschpëtzer“ auf „Pëtschend“ handeln könnte. In einer Sagen-Sammlung von Nikolaus Gredt aus dem 19. Jh. ist die Rede von „Wichtelslöchern“. Es hieß, wenn man hineinfalle, komme man in der Nähe der Steinseler Mühle heraus. Die Herkunft des Namens „Raschpëtzer“ bleibt bis heute unbekannt. Erst im 20. Jh. begann die wissenschaftliche Untersuchung der Schächte.



Bei den ersten Grabungen 1914 wurde Schacht 5, eines der vier „Wichtelslöcher“, bis in eine Tiefe von 17 Metern entleert – warum grub man damals nicht weiter?

Es dürften wohl Luft- und Wasserprobleme in der Schachtröhre und der sich abzeichnende Erste Weltkrieg gewesen sein, die diesen Ausgrabungen ein vorzeitiges Ende bereitet haben. Nach 1914 wurde erst wieder 1967 mit einem Speläologen-Camp ein neuer Versuch unternommen: Diese Freizeitaktivität dauerte drei Wochen und endete mit einer Ausgrabungstiefe von 20 Metern. Eine weitere Grabung durch einen Bauunternehmer im selben Jahr führte bis in eine Tiefe von 23 Metern. Weitere Ausgrabungsversuche durch einen Brunnenbauer mussten 1968 und 1970 in 25 bzw. 26,5 Metern Tiefe ebenfalls abgebrochen werden – die „Raschpëtzer“ behielten ihr Geheimnis weiter für sich!


Wie kam es dann dazu, dass man am 3. Oktober 1986 den Grund von Schacht 5 erreichte?

Am 21. Oktober 1984 besuchten Kulturminister Robert Krieps und sein Vorgänger Pierre Werner auf Einladung des Walferdinger „Syndicat d'initiative et de tourisme“ und dessen Präsidenten Georges Faber den Schacht Nummer 5. Es war übrigens Georges Faber, der Initiator der „Raschpëtzer“-Forschung, der mich schon 1965 dafür begeistert hatte. Auch Robert Krieps war 1984 davon angetan und versprach noch vor Ort finanzielle Unterstützung für eine Ausgrabung des Schachtes bis zu seinem unbekannten Grund. Das bewirkte die große Wende. Seither beteiligt sich auch die Walferdinger Gemeinde finanziell an den „Raschpëtzer“-Ausgrabungen. Von August bis Oktober 1986 legte eine Firma Schacht 5 bis zum Grunde frei. Am 2. Oktober rief ein Schachtarbeiter aus 34 Metern Tiefe zu uns herauf: „Il y a un trou!“ Am 3. Oktober räumte er in 36 m Tiefe einen 90 Zentimeter hohen Eingang zu einem Stollengang frei, in den ich mit dem Firmen-Vorarbeiter eindringen konnte. Für mich war es ein einmaliges Erlebnis, als erster Mensch nach fast 2 000 Jahren die unbekannte Unterwelt zu betreten und erste Forschungserkenntnisse zu sammeln. Dieser Tag, der 3. Oktober 1986, dürfte der bislang wichtigste in der „Raschpëtzer“-Forschung sein, da er das Tor in eine geheimnisvolle Welt weit öffnete und sich dadurch die Richtung der zukünftigen Forschung eindeutig bestimmen ließ.


Was fanden Sie unten heraus?

Die erste Wahrnehmung war ein nach links und rechts abzweigender Stollengang, in dem wir uns nur mühsam und gebückt voranbewegen konnten. Hinter einem Sanddamm am Oststollenende hörten wir plötzlich das Geräusch von fließendem Wasser. Wegen der Dunkelheit – als einzige Lichtquelle diente eine Taschenlampe – und auch aus Zeitmangel konnten wir keine aufklärenden Erkundungen hierüber durchführen. Bei unserem zweistündigen Aufenthalt nahmen wir aber schon erste Vermessungen in dem zweiseitigen Stollengang vor. Drei Tage später entfernten zwei Arbeiter des Unternehmens, das die historische Schachtausgrabung durchgeführt hatte, auf dem Stollenboden eine 20 Zentimeter hohe Schotterschicht und mehrere schwere Steinplatten; dabei kam ein aus Stein gebauter Kanalaufbau zum Vorschein, in dem klares Wasser floss. Herr Faber, der trotz seines hohen Alters an diesem Tag auch in die neu entdeckte Stollenanlage hinabgestiegen war, mutmaßte sofort, dass es sich um eine unterirdische Wasserleitung, präziser gesagt eine „Fließwassergewinnungsanlage“ aus der Römerzeit handeln musste, und dass die „Wichelslöcher“ Schächte dieser Anlage seien. Solche Schächte dienten während der Bauzeit der Anlage zur Belüftung des Stollens, zum Abtransport des Aushubs und nicht zuletzt zur Orientierung beim unterirdischen Stollenvortrieb. Später erleichterten sie auch anfallende Wartungsarbeiten.

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Das vollständige Interview finden Sie im LW vom 24. Dezember