Szenen einer Ehe

Ein Hauch von Hollywood, oder vielleicht eher von Cannes, wehte dieser Tage über dem sonst so geruhsamen Gelände des Rot-Kreuz-Genesungszentrums in Niedercolpach. Vom bekannten französischen Regisseur Philippe Claudel als Drehort für sein neuestes Kinowerk „Avant l'hiver“ erwählt, tummelte sich während sechs Tagen ein rund 70-köpfiges Filmteam im Erholungszentrum. Ganz zum Vergnügen der Bewohner, die die Dreharbeiten, dank Kameraübertragung, in aller Ruhe vor dem Flachbildschirm im Aufenthaltsraum verfolgen konnten.

Eigentlich scheint über der Ehe des 60-jährigen Neurochirurgen Paul und seiner Gattin Lucie keinerlei Schatten zu liegen. Bis eines Tages anonym verschickte Rosen eintreffen, dies ausgerechnet zu jenem Zeitpunkt, wo die charmante 20-jährige Lou Pauls Wege zu kreuzen beginnt.

Und plötzlich beginnen die Masken zu fallen: Sind wirklich alle die, die sie vorgeben zu sein? Leben Paul und Lucie tatsächlich das Leben, von dem sie geträumt haben? Wer lügt, wer spricht die Wahrheit? Wer sind die Ungeheuer, wer die Engel? Und ist so kurz vor dem Winter des Lebens noch Zeit, das Unausgesprochene, das Geheime zu Tage zu fördern? Es sind dies die Kernfragen, mit denen sich „Avant l'hiver“ von Philippe Claudel letztlich befasst. Ein Psychodrama mit der Struktur eines Thrillers, wie der lothringische Regisseur selbst meint, dem 2008 mit „Il y a longtemps que je t'aime“ der große Durchbruch als Filmemacher gelang.

Damals mit dem Europäischen Filmpreis für die beste Darstellerin prämiert: Kristin Scott-Thomas, die Claudel als Lucie in „Avant l'hiver“ nun erneut unter seiner Regie vor die Kamera bringt. Der britischen Schauspielerin, die vielen auch durch ihre Rollen in „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ (1994), „Der englische Patient“ (1996), oder „Der Pferdeflüsterer“ (1998) an der Seite von Robert Redford bekannt wurde, stehen in „Avant l'hiver“ mit Daniel Auteuil (Paul) und Leïla Bekhti (Lou) aber zwei nicht minder bekannte Stars zur Seite. Während Auteuil vor allem durch seine Rolle als Heinrich von Navarra in „Die Bartolomäusnacht“ (1994) in die Riege der bekanntesten französischen Kinodarsteller aufstieg, tat sich die junge Leïla Bekhti insbesondere durch ihre Auftritte in „Sheitan“ (2006) und „Tout ce qui brille“ (2010) hervor.

Ein hochkarätiges Aufgebot, für welches nun also das Niedercolpacher Genesungsheim als Drehort fungieren durfte. „Das Zentrum bot uns vor allem für zwei Handlungssequenzen des Films die ideale Kulisse, nämlich für jene Szenen, die am Arbeitsplatz des Neurochirurgen Paul spielen – hierfür wurde eigens ein fiktiver Operationssaal installiert – und für die Begegnungen mit einer unter psychischen Störungen leidenden Patientin“, erklären die Produzenten Yves Marmion, Romain Rojtman und Jani Thilges.

Als französisch-luxemburgische Koproduktion (mit Beteiligung der nationalen „Samsa Film“) spielen sich übrigens alle Dreharbeiten zu „Avant l'hiver“ in Luxemburg ab. Weshalb auch mehrere Akteure aus dem Großherzogtum an dem Filmprojekt mitwirken, darunter Annette Schlechter, Anne Victoire Metzler, Jeanne Werner und Nilton Martins, die am Freitag gegenüber der Presse allesamt von einer bereichernden und aufregenden Erfahrung sprachen.

VON JOHN LAMBERTY

Aufregend und rundum positiv beschreibt aber auch der Direktor des Genesungszentrums, Jean-Philippe Schmit, den Aufenthalt des Filmteams. Die Herausforderung, die Erholung der Patienten mit dem Rummel eines Filmstudios zu vereinen, sei eigentlich erstaunlich gut gelungen. Und für manchen seien die Dreharbeiten gar eine willkommene Abwechslung gewesen, so Schmit. Demnach dürfte man sich auch in Colpach bereits jetzt auf den Herbst 2013 freuen, wenn es in den Kinos heißt: Film ab für „Avant l'hiver“!