Von André Link
Mit rein tschechischer Besetzung präsentierte das Musicalteater Brno eine „West Side Story“, die vor allem in der tänzerischen Qualität überzeugte. Durch diese Akzentlegung auf das Musikalische musste der Eindruck entstehen, man habe es mit einer Art Operette mit Jazz-Rhythmen zu tun, bei der die paar anfallenden Leichen sehr leger unter den Teppich gekehrt wurden.
Recht selbstsicher traten die Puertoricaner auf. Dass diese Neuamerikaner, die sich erst langsam an das Paradies USA herantasten (wird sind in den sechziger Jahren), mit einem pittoresken Akzent sprechen, versteht sich. Ihre spanisch-lateinamerikanischen Tanzeinlagen legen sie mit kesser Sohle auf die Bühne und sind dabei noch erfreulich farbenfroh angezogen.
Ihre Rivalen, die polnisch-irischen Jets, sind schon länger im Land und sind dennoch ihren slawischen Akzent nicht losgeworden. Zwischen den jugendlichen Banden agieren zwei Erwachsene, Doc und Officer Krupke, denen man den Großteil der – englisch gesprochenen – Dialoge gelassen hat. Was beide mit der Handlung zu tun haben, ist mysteriös, denn von dem, was sie ausgiebig von sich geben, versteht man kein Wort.
Ist hier das Wort Handlung gefallen? Ohne Zweifel ein Missverständnis, denn es wird keinerlei Versuch gemacht, die Charaktere in und außerhalb der Banden zu zeichnen, von sozialkritischen Ansätzen ganz zu schweigen. So kann es geschehen, dass, als Chino Tony erschießt, einige Zuschauer, die im falschen Musical zu sein scheinen, in Gelächter ausbrechen. Andere plaudern während der gequälten Dialoge munter vor sich hin oder beschäftigen sich – offensichtlich gelangweilt – mit ihrem Handy-Display.
Was bleibt, ist die Musik. Das Orchester unter Karel Cón spielt Leonard Bernsteins geniale Partitur mit viel Schwung, aber unverständlicherweise ohne eine Spur von Aggressivität herunter. Der Prolog, der „Dance at the Gym“ (ein „Thé Dansant“, der sich in einen frenetischen Hormonenrausch steigert), die Kampfszenen und die Ritualtänze der Banden werden mit professioneller Bravour bewältigt. Schade nur, dass in diesem Voremanzipationsdrama die Mädchen frühzeitig das Feld räumen müssen, um einem breit ausgewalzten Macho-Hype Platz zu machen: Ihre choreografische Leistung war ein Trumpf der Brünner Darbietung (in der Verfilmung von 1961 zum Beispiel machten männliche und weibliche Tänzer „Cool“ zu einem Höhepunkt).
Schreckliche Elektronik
Leonard Bernstein hat einige Ensembles opernartig angelegt. Wären die Interpreten nicht so exklusiv auf Musical fixiert gewesen, hätten sie hier durchaus eine nuancierte Darstellung erbringen können. Stattdessen wird, wie immer bei solchen Produktionen, alles über einen Kamm geschert. Einzig Dusan Vitázek als Diesel und Svetlana Slováková in der Superrolle der Anita, die sie voll ausfüllt, wissen etwas mit ihrer Stimme anzufangen.
Die Maria von Radka Coufalová hingegen – darstellerisch gar nicht so schlecht – geht von Anfang bis zum Schluss auf volle Stimme und, durch die schreckliche Elektronik noch zusätzlich verzerrt, tut ihr Möglichstes, ihren Tony in Grund und Boden zu singen. Dabei ist der, sofern er nicht seine Kopfstimme gebraucht, durchaus erträglich.
Irgendwelchen Anteil hat man an diesen stereotypen Figuren und ihren Problemen nicht nehmen können. Die sentimentalen Liedchen haben ermüdet, die nervigen Songs und Tänze begeistert. So kann man einigermaßen zufrieden – und froh, dass das Wetter gehalten hat – wieder nach Hause gehen.
(Fotos: Festival)