Vom Haare lassen (Teil 2)

Vom Haare lassen (Teil 2)


Glückwunsch zu ihrem 35.ten Betriebsjubiläum. Was hat sich seit unserem letzten Gespräch vor 5 Jahren getan?


Noch nie dagewesenes hat sich ereignet. Im Zuge der damals noch unerforschten Viruserkrankung Covid-19 wurde veranlasst, dass ab dem 16. März 2020 alle kommerziellen und handwerklichen Aktivitäten, die Publikumsverkehr hatten, geschlossen blieben. Diese historisch einzigartige Maßnahme blieb bis zum 4. Mai 2020 in Kraft, sodass wir fast zwei Monate lang keine Kunden bedienen konnten und auch keine Einnahmen verbuchten. Die Fixausgaben, wie z.B. Tilgung der Bankverpflichtungen, Mieten und Abos waren jedoch weiterhin fällig. Die Lohnkosten konnten glücklicherweise über die Beantragung von Teilzeitarbeitslosigkeit eingeschränkt werden; jedoch standen wir als Betriebseigner im Regen, da wir selbst kein entsprechendes Ersatzeinkommen hatten und diesen zweimonatigen Einkommensverlust überstehen und verdauen mussten.


Die Wiederaufnahme der Arbeit gestaltete sich ferner überaus schwierig, da wir Frisöre im Umgang mit unseren Kunden strikte Hygieneprotokolle und Sanitärmaßnahmen zu beachten hatten. Diese Einschränkungen waren strikter und hemmender als solche die etwa im Baugewerbe galten. Ich erwähne dies, da das Baugewerbe erstaunlicherweise Ende letzten Jahres deswegen mit einer Finanzhilfe von 222 Euro pro Arbeitnehmer bedacht wurde, jedoch der stärker beeinträchtigte Frisör- und Schönheitssektor nicht.


Im Allgemeinen glaube ich, dass diese Krise mehr soziale Differenzen aufgedeckt hat, als dass unsere Gesellschaft dadurch solidarischer wurde.


Welche Langzeitauswirkungen glauben Sie hat diese Krise?


Es ist nicht nur die Pandemie, welche die Fragilität der internationalen Lieferketten aufwies, sondern auch der Krieg in der Ukraine, die im Dominoeffekt zu Preis-Teuerungen führten. Hinzu kam die Inflation und die Zinspolitik der europäischen Zentralbank, die besonders zum Abschwung im Bausektor führten, wodurch wir es alles in allem heute mit einer komplexen Multikrise zu tun haben.


Ich glaube jedoch, dass jede Krise einen Wandel einläutet und bedingt durch die aktuellen ökonomischen Unsicherheiten wir in Zukunft größeren Wert auf Autonomie und lokalen Handel legen werden. Die Zeiten der uneingeschränkten Globalisierung sind vorbei.


Neben den wirtschaftlichen Herausforderungen ist unsere Gesellschaft seit der Pandemie auch stärker im Wandel. Alles scheint seither schneller abzulaufen; so dass sich bei vielen ein Gefühl von Überforderung einstellt. Die Gewerkschaften sehen ein Ungleichgewicht der „Work-Life-Balance“ und fordern kürzere Arbeitszeiten. Dies ist jedoch ausgesprochener Nonsens, denn noch nie waren die Arbeitnehmer so geschützt wie heute und die Vielzahl der gesetzlichen Urlaube so hoch. Es scheint mir eher, dass die Krise die Menschen veranlasst neue, eigennützigere Prioritäten zu suchen; was sich auch in geändertem Kundenverhalten widerspiegelt.


Was bedeutet dies für das für ihr Handwerk?


Nach dem Motto „Nichts ist so beständig wie der Wandel“ passen wir uns stetig an. So z.B. sind die sozialen Medien noch stärker in den Vordergrund getreten. Auch das Handwerk macht sich das virtuelle Verbunden Sein zu Nutze. Jedoch scheinen mir Geschäftsmodelle die ausschließlich auf die Attraktivität der Vermarktung aus sind, (wie dies auf Fachmessen, die ich jüngst besucht habe, angepriesen wird) nicht maßgebend.

Meine 40-jährige Berufserfahrung bestätigt mir besonders heute, dass das Handwerk goldenen Boden hat, sofern man bereit ist sein Wissen und Können stets zu erweitern. Praktische Fortbildungen sind deshalb in meinem Betrieb seit jeher eine absolute Verpflichtung, um die mannigfachen Ansprüche der Kundschaft individuell und fachgerecht zu erfüllen. Jeder, der diesen, mitunter mühevollem Einsatz nicht scheut kann in unserem Beruf erfolgreich sein und wäre auch in meinem Salon willkommen. Ich sage dies mit schwerem Herzen, da mein Unternehmen mittlerweile im 35-ten Gründungsjahr ist und es an der Zeit ist an meine Nachfolge zu denken und den in Ettelbrück fest eingesessenen Betrieb weiterzugeben.


Danke für das Gespräch, Frau Carine Schlim.

mywort - 30 Jahre im Beruf