Estland erinnert an P. Henri Werling SJ

1924 hatte der französische Jesuit Michel d’Herbigny SJ (1880-1957) die Leitung des päpstlichen Hilfswerkes für Russland übernommen. Er wollte wenige Jahr nach der Oktoberrevolution eine große Bekehrungswelle unter orth. Christen im Sowjetreich organisieren. Er gewann den Provinzial der deutschen Jesuitenprovinz P. Bernhard Bley (1879-1962) dazu, an diesem Werk mitzuwirken. Bley schickte noch im selben Jahr einen seiner fähigsten Mitbrüder, P. Henri Werling (1879-1961), sozusagen als Vorhut nach Estland. Werling stammte aus einer begüterten Luxemburger Bankiersfamilie, nach einem Jahr im Diözesan Seminar war er in den Jesuitenorden eingetreten und hatte Interesse an Russland gezeigt. Er studierte zwei Jahre in Krakau, das damals zum Zarenreich gehörte. In Estland baute er zuerst die am Boden liegende Studentengemeinde in Tartu, damals noch Dorpat genannt, wieder auf. Die Stadt war die erste Universitätsstadt des Zarenreichs und hatte eine multikulturelle Bevölkerung. Werling wurde bekannt als guter Prediger in vielen Sprachen. Auch für das heute in Russland liegende orth.Kloster Petseri, war er zuständig. Er baute gute Kontakte zu den russischen Mönchen auf und lud später Mönche aus dem belgischen Amay ein dorthin zu kommen. Die belgischen Mönche gründeten später in Belgien das Kloster Chevetogne, das in der Liturgie zum orthodoxen Ritus wechselte.

Im Jahre 1926 war innerhalb der Ostkirchenkongregation in Rom die Kommission „Pro Russia“ unter der Leitung von Michel d’Herbigny gebildet worden. Der Kommission Pro Russia wurden, da man an ein baldiges Ende der kommunistischen Herrschaft glaubte, nach und nach immer mehr kirchenrechtliche Befugnisse innerhalb der katholischen Kirche der Sowjetunion und den angrenzenden Ländern übertragen. Die Verwurzelung der kath. Kirche in die baltischen Völker sollte zurückgestellt werden zugunsten einer nach dem Zerfall der Sowjetmacht für möglich gehaltenen Neumissionierung Russlands, die nach dem Muster der bereits im 16. Jahrhundert erfolgten Union mit den Ukrainern (Ruthenen) erfolgen sollte. « In Estland, so schrieb P. Werling 1930 an seinen Provinzial, sah Bischof d’Herbigny einen möglichen Vorposten der Kirche Christi vor den Toren der Sowjetunion ».

Als 1930 sein Mitbruder, der deutsche Jesuit Eduard Profittlich (1890-1942) SJ. nach Estland kam, trat Henri Werling ins zweite Glied. Profittlich wurde bereit 1931 Apostolischer Administrator und später Erzbischof von Estland. Er wählte P. Werling zu seinem Generalvikar und Pfarrer von St Peter in Tallinn. 1933 fiel Bischof d’Herbigny bei Papst Pius XI in Ungnade und wurde seiner Ämter entbunden. Da die Befugnisse dieser zentralen Figur in der vatikanischen Russlandpolitik jetzt auf die Ortsbischöfe übergingen, erlangte die Apostolische Administratur Estland erst jetzt ihre eigentliche Unabhängigkeit. Werling erwarb 1937 die estnische Staatsangehörigkeit, er war nach der Verhaftung und dem Tod von Bischof Profittlich 1942 Leiter der kath. Kirche Estlands Ad Interim. Nachdem 1944, nach drei Jahren deutscher Besatzung, die sowjetische Armee nach Estland zurückkam und das Land annektierte, wurde auch P. Werling von den Sowjets 1945 verhaftet und für neun Jahre bis 1954 in den Gulag nach Udmurtien verschleppt. Nach seiner Entlassung, nach dem Tode Stalins, wollte P. Werling nicht mehr nach Luxemburg zurück, um „seiner Familie nicht zur Last zu fallen“. Er verbrachte seinen Lebensabend, gesundheitlich gebrochen vom Gulag, in dem ehemaligen kath. Kirchenzentrum in Kodasema im Zentrum Estlands, das jetzt zur Kolchose Esna gehörte. Dort starb er am 22. Februar 1961, er wurde auf dem Waldfriedhof von Tallinn beerdigt.

Im Oktober 2023 gedachte die kath. Pfarrei von Tartu der Ankunft von P. Werling in einem Gedenkgottesdienst. Gefeiert hat dieser Gottesdienst der deutsche Jesuit Christoph Wrembek aus Hannover, der seit 1990 ein Hilfswerk für die kath. Kirche Estland aufgebaut hat. Er wurde von demselben Provinzial Bley, der P. Werling nach Estland geschickt hatte, 1954 in den Jesuitenorden aufgenommen. In seiner Predigt sagte P. Wrembek: „Mir war, als hätte P. Werling mit seinem Heimgehen(1961) gewartet, bis ich P. Bley getroffen hätte und so, ohne es zu wissen, wiederum 30 Jahre später eine Brücke zur nächsten Periode der Jesuiten in der Geschichte Estlands schaffen konnte“.

Bodo Bost