Wie wirkt sich die Implementierung einer Universität auf die Entwicklung einer gesamten Region aus? Wie kann man eine Universität in einer Region integrieren, dass sie dieser direkt und indirekt maximal von Nutzen sein kann?
Im Hinblick auf die Eröffnung der Universität von Luxemburg in Belval im Jahre 2014 stellte sich das Gemeindesyndikat Pro-Sud eben diese Fragen und suchte im Rahmen einer Studienreise im April Antworten bzw. Inspiration bei Eschs Partnerstadt Lille im Norden von Frankreich.
Rund zwei Tage verbrachte die luxemburgische Delegation, an ihrer Spitze der Rümelinger Bürgermeister Henri Haine sowie der Bettemburger Schöffe Gusty Graas und die Gemeinderatsmitglieder Paul Weidig (Esch/Alzette), Nadine Tornambé (Sassenheim), Catia Concalves (Petingen), in Begleitung von Beamten und Mitarbeitern der verschiedenen Gemeinden in Lille.
Die Stadt Lille ist quasi das Zentrum von „Lille Métropole communauté urbaine“ (LMCU), einem Zusammenschluss von insgesamt 87 Gemeinden mit knapp 1,1 Millionen Einwohnern, die über diesen Verband vehement ein gemeinsames Interesse verfolgen: ihre Region zum Vorteil gedeihen zu lassen, Wirtschaftswachstum anzuziehen und Projekte zu entwickeln. In diesem Vorhaben spielen auch die universitären Einrichtungen – Lille hat alleine vier Hochschulen – eine wichtige Rolle. In Gesprächen mit dem Vizepräsidenten von „Lille Métropole communauté urbaine“, Faustin Aissi, sowie dem Präsidenten der Universität von Lille I und deren Vizepräsidenten Philippe Rollet und Françis Meilliez wurden diese Themen angeschnitten.
Lille selbst unterscheidet sich, von den Größenverhältnissen abgesehen, gar nicht so sehr von Esch/Alzette. Auch die nordfranzösische Stadt hat mit ihren heute 226 000 Einwohnern eine bewegte Geschichte hinter sich. Lille war seit jeher eine Handelsstadt. Die Industrielle Revolution formte aus ihr eine große Industriestadt, bei der sich vor allem Textil- und Maschinenbauindustrie ansiedelten. Deren Niedergang in den 1960er-Jahren zog allerdings eine lange Krisenzeit nach sich. Eine Parallele, die auch mit dem Niedergang der Stahlindustrie in Luxemburg gezogen werden kann.
Erst die Umstellung auf den Dienstleistungsbereich und die Sanierung vernachlässigter Stadtviertel in den 1990er-Jahren führten zu einem langfristigen Wandel des Stadtbildes. Der Bau des neuen Geschäftsviertels „Euralille“ in den 1980er-Jahren, die Durchfahrt des Hochgeschwindigkeitszuges TGV 1993 und des Eurostars 1994, die Lille eine internationale Verbindung zusicherte, die Entwicklung zu einem Universitätsstandort mit weit über 106 000 Studenten sowie die Einstufung als französische Stadt der Kunst und Geschichte und Kulturhauptstadt Europas, als Folge des kulturellen Projektes „Lille 2004“, markieren einige Etappen, die die Stadt in ihrer Neuerschaffung und ihrem Strukturwandel durchlaufen hat.
Diese Etappen waren zentrale Themen beim Treffen mit dem ersten stellvertretenden Bürgermeister Pierre Saintignion, der unter anderem auf Bereiche wie den Transport und den Wohnungsmarkt einging, als auch im Austausch mit der „Directrice de la formation de la CCI de région“, Nathalie Libbrecht, bei der Handelskammer, die das direkte Zusammenspiel von Wirtschaft und universitärem Geschehen näher beleuchtete sowie direkte Symbiosen zwischen Forschung und Wirtschaft erläuterte.
Campus auf der grünen Wiese außerhalb der Stadt
Prioritär ging es der Delegation allerdings um die Universitäten. Beim Besuch der verschiedenen Campi – Lilles Universität teilte sich in den 1960er-Jahren nach dem Prinzip eines amerikanischen Campus in drei Teile auf, I, II und III (außerdem gibt es eine unabhängige katholische Universität) – wurden ebenfalls Aspekte der Studentenunterbringung und Transport gestreift. Lille verfügt inzwischen über ein hervorragendes Netzwerk im öffentlichen Transport durch seine Metro und Zugverbindungen. 4,5 Millionen Verbindungen werden hier tagtäglich gezählt, wobei der öffentliche Transport in der Mehrheit von den Studenten genutzt wird.
Lille hatte, ebenfalls wie in Luxemburg geschehen, beschlossen, einen Teil seiner Universität aus dem Stadtkern in die Peripherie zu verlegen. Heute bewegen sich die Überlegungen eher wieder in Richtung eines Zusammenschlusses, wie anlässlich mehrerer Gespräche betont wurde. Der Campus von Lille I beispielsweise, der ebenso wie der Campus von Lille III auch im Rahmen der Studienreise besucht wurde, liegt im etwa zwölf Kilometer entfernten Villeneuve d'Ascq, und strukturiert sich um acht Wissenschaftszweige. Neben 20 000 Studenten beschäftigt die Universität 1 500 Forscher, 39 Forscherteams, 1 000 Doktoranden.
Großer Wert wird auf dem Campus auch auf Bereiche wie Freizeit, Sport und Soziales gelegt, eine Tatsache die auch in Belval zum Tragen kommen soll. In unmittelbarer Nähe zum Campus befindet sich der Wissenschaftspark Haute Borne, in dem sich bis heute über hundert Betriebe angesiedelt haben und die inzwischen enge Bindung von Forschung und Wirtschaft unterstreichen und dokumentieren.
Hier werden systematisch starke Allianzen zwischen den Fakultäten und den Unternehmen aufgebaut. Damit werden Synergien geschaffen, die letzten Endes für alle Beteiligten von Vorteil sind. So werden die Universitäten als Zentrum der Wissensproduktion zum komparativen Standortvorteil im regionalen Wettbewerb. Zusätzlich dazu wurden auch entsprechende Wohnsiedlungen geschaffen.
Es gibt durchaus Parallelen, die die Studienreise nach Lille aufgezeigt hat. Nun obliegt es den einzelnen Gemeinderäten und den Kommissionen, die nötigen Informationen zu applizieren und nach Bedarf und Können in der Region Esch/Alzette bzw. im Süden umzusetzen.