Die Säulen der Lalux


Die Säulen der Lalux
Auf den Spuren einer Versicherungsgesellschaft
zwischen
Tradition und Moderne

von
Chantal Lorang





Wie die Säule des Lichts auf des Baches Welle sich spiegelt,
so beleuchtet der Würden Glanz den sterblichen Menschen.
Schiller



Zugegeben: Ich war nervös.

Windstill ist es an diesem Tag im Juli.
Die Hitze staut in den Leudelinger Wiesen.
Unter blauem Himmel glänzt ein imposanter Firmenkomplex.
Unwillkürlich denke ich an Klimts “Goldene Periode”, zwinge mich zur Sachlichkeit, schaue auf die Uhr.
Der Generaldirektor der Versicherungsgesellschaft La Luxembourgeoise, neuerdings verkürzt Lalux genannt, wird gleich kommen.
Im Gebäudeinneren kreischt eine Säge.

Ein silbergrauer Audi fährt vor. Gedämpfte Gitarrenklänge wehen aus dem halboffenen Autofenster. Steven Wilson. Half Light.
Pit Hentgen steigt aus.
Eine große, schlanke Gestalt. Legere Kleidung.
Sein Händedruck ist warm, sein Lachen herzlich. Keine dramatischen Gesten der Selbstglorifizierung. Der Lalux Chef entspricht so gar nicht dem klischierten Vorurteil vom Starmanager.
Auf Anhieb ist mein Lampenfieber verflogen.

Spontan frage ich, woran die Gebäudefassade ihn, den Bauherrn, erinnere. Seine Antwort mag verblüffen: “An ein stilisiertes Feld... Ein Weizenfeld mit Krähen ... Mit Zypressen vielleicht?... Mit Korngarben?”
Ruhig hängt Pit Hentgen seinen Assoziationen nach.
“Auf jeden Fall Van Gogh!”
Insgeheim muss ich schmunzeln: Klimt und Van Gogh.
Die “Goldene Periode” und das “Gelbe Haus”?
Ein Sonnenblumenfeld im Herbst vielleicht?

Entspannt lasse ich die Fassadenpoesie auf mich wirken.

In unregelmäßigen Abständen angeordnete senkrechte Lamellen blitzen kaleidoskopisch in der Sonne. Je nach Strahleneinfall in neuen Farbtönen. Warme Herbstfarben. Bronze, Silber und Gold auf Braun. Ich schätze die Zahl der dreifarbigen Elemente auf etwa 3000. Wie eine zweite Haut umfassen sie den fünfgliedrigen Komplex, verschmelzen die drei Stockwerke zu einem harmonischen Ganzen. Die Lichteffekte, zusätzlich verstärkt durch die unterschiedliche Winkelstellung der Lamellen, sind mit Sicherheit das Besondere an der Fassade. Ein optisches Erlebnis!

Man habe - so die verantwortlichen Architekten Jim Clemes und Ingbert Schilz in einem späteren Gespräch - bei der Planung sowohl die Leudelinger Einwohner als auch das natürliche Umfeld und ökologische Kriterien respektiert. Am Drosbach glitzern und schatten die Erlen, Blätter zirkeln im Wind, silbrig-gelbe Wasserpflanzen schillern. Zu jeder Tageszeit schafft das Licht neue Farbnuancen. Diese Naturschauspiele sind Vorbild für das ausgeklügelte Beleuchtungskonzept des Bauwerks.

Über den ästhetischen Betrachtungen dürfen wir den funktionalen Aspekt der energieeffizienten Fassade nicht vergessen: Gerade in heißeren Sommermonaten bleiben solare Wärme und blendende Sonnenstrahlen dank der gebäudeumspannenden Lamellenfächer außen vor, derweil die Lichtflut ihren Weg mühelos ins Innere findet.
Während Pit Hentgen mich in das damals noch unfertige Gebäude führt, erzählt er, dass er selber einst den Beruf des Architekten erwogen habe. Insofern liegt das Projekt in den Leudelinger Wiesen dem Generaldirektor sehr am Herzen.
In der weiten Empfangshalle drängen Arbeiter mit weißen Helmen vorbei, Bohrmaschinen im Anschlag. Staubschwaden vernebeln den Eingang – und trotzdem nehme ich die subtile Innenbeleuchtung auf Anhieb wahr. Schon jetzt lädt der offene Raum zum Sinnieren ein: „...Licht, Licht ist alles!”, sagt Tom Builder, der Baumeister der Kathedrale aus Ken Folletts „Säulen der Erde“. Wie die Fassade wird auch die Empfangshalle je nach Sonneneinstrahlung ein neues beeindruckendes Gesicht zeigen.
Ausgewählte zeitgenössische Kunst wird ihre hellen Wände schmücken – perfekt auf die Räumlichkeiten abgestimmt. Meisterwerke des international anerkannten Skandinaviers Olafur Eliasson, des Praemium-Imperiale-Preisträgers Hiroshi Sugimoto zum Beispiel: Die Künstler schrecken nicht vor Abgründen zurück. Innerseelische Krisen werden zum Ausdruck gebracht, der Verlust einer einheitlichen Idylle beklagt. Ihre Arbeiten sind Spiegel eines verunsicherten Zeitalters, das mehr denn je eines helfenden „Versicherers“ bedarf. Mensch und Natur, Wahrheit, Sein und Zeit, Flüchtigkeit der menschlichen Existenz, Werteverlust…Themen über Themen zum Nach- Weiter- und Umdenken. Nicht von ungefähr bezeichnet Pit Hentgen die bereichernde Sammlung als „das Herzstück, die Seele des Gebäudes“.
Gleichzeitig schärfen Werke wie die von Gregor Hildebrandt, Toby Ziegler, Julia Steiner, Darren Almond, Todd Hido u.a. nach außen hin das weltoffen-moderne Firmenprofil, fördern die Bereitschaft zur Kreativität, den Mut, neue Wege zu gehen.
Neben der Kunsthalle stellen die sorgfältig gestalteten thematischen Außenanlagen weitere Rückzugs- und Freiräume dar, wo Besucher vor edlen Skulpturen die Seele baumeln lassen können. Zeitweilig findet auch der Mitarbeiter da Entspannung, zumal er seinen Nachwuchs im firmeneigenen Kinderhort sicher aufgehoben weiß.
Wie bei der Innenarchitektur ist hier der Wunsch nach Harmonie, Transparenz und Licht federführend gewesen: Einer gewaltigen offenen Hand gleich ruht der Lalux-Komplex in den Leudelinger Wiesen - mit luftigen Freiflächen zwischen den fünf ausgestreckten Fingern.
Mittlerweile haben wir das zweite Stockwerk erreicht. Türen gibt es keine. Ein Sinnbild für die gelingende Kommunikation im Team? Fast hat man den Eindruck, man könne den weiten Raum durchschweben. Schöne Aussichten für die 330 Mitarbeiter. Jedem wird ein konzentrationsfördernder Arbeitsplatz am Fenster zugesichert. “Humanismus und Leistung”, lautet Pit Hentgens Devise im Umgang mit seinem Personal.
Mit Blick auf das Leudelinger Umfeld outet sich der Generaldirektor als Wald- und Wiesenmensch, der seine knapp bemessene Freizeit gerne mit Kater Oscar im Garten unter den Obstbäumen verbringt oder die Natur als Jogger immer wieder neu erlebt. Neben dem Laufen gehören Volley- und Basketball zu seinen liebsten Sportarten. Folgerichtig wird den Lalux-Angestellten ein Fitnessraum zur Verfügung gestellt.
Dahinter steckt zweifelsohne auch die Erkenntnis, dass körperliche Ertüchtigung in der Gruppe motivierend wirkt, Teamgeist und Solidarität fördert – eher seltene Werte in den aktuellen Krisenzeiten, wo - so Pit Hentgen - leider allzu oft Neid und Missgunst regieren.
Er weiß, wovon er spricht: Seit ihrer Gründung herrschte auch für die Lalux nicht immer eitel Sonnenschein. Und doch hat sie bislang alle Hürden erfolgreich gemeistert. Angefangen bei der großen Depression von 1929, über den Zweiten Weltkrieg, die Őlschocks der 70ger, das Terrorjahr 2001 bis zur weltweiten Finanzkrise seit der Lehman-Pleite 2008.
Allen Unkenrufen zum Trotz betont Pit Hentgen, dass man die Fertigstellung der neuen Anlage konsequent verwirkliche - selbst in wirtschaftlich prekären Zeiten.
In diesem Sinne werde die Lalux ihrer gesellschaftlichen und sozialen Verantwortung gerecht: Einerseits garantiere das Großprojekt den zuständigen Unternehmen eine Vollbeschäftigung in einer schwierigen Periode. Andererseits mache der Umzug den Weg frei für das ehrgeizige Bauvorhaben Royal Hamilius, wodurch wiederum Arbeitsplätze geschaffen werden.
„Arbeitsplätze bewahren statt vernichten“ scheint ohnehin eine von Pit Hentgens Gedankensäulen zu sein: Trotz strukturbedingter Reorganisierungsmaßnahmen habe man bisher nie einen Mitarbeiter entlassen.
Diese Sicherheit und Stabilität, die man den Angestellten vermittle, gelten auch für die Versicherungsnehmer: Ungeachtet der Korrektur der Finanzmärkte werde im Schadensfall nach wie vor angemessen ausgezahlt – das sei schließlich eine Vertrauensfrage. Wenn das Gemeinwohl es erfordere, würden mitunter selbst schlechte Risiken versichert.
Auf der Chefetage – fast freischwebend hängt sie in der Gesamtkonstruktion – spricht Pit Hentgen von seiner Nähe zu in- und ausländischen Entscheidungsträgern aus Wirtschaft und Politik, von der erfolgreichen Kooperation der Lalux mit renommierten Unternehmen und Einrichtungen, dem nachhaltigen Engagement in den Bereichen Sport und Kultur.
Auf einmal entdecke ich in einer gläsernen Trennwand eine kunstvolle Gravur mit Motiven aus vergangenen Zeiten: Handwerker in unterschiedlichen Gewerben. Ein archaisches Element im hochmodernen Ambiente?
Das Foto eines Fensters des Künstlers Gustave Santer aus dem Verwaltungsgebäude der Nachkriegszeit habe die Vorlage zu dieser feinen Glasarbeit geliefert, erklärt Pit Hentgen. Die Gravur sichere ihm ein Andenken an das Aldringer Stammhaus, das im Frühjahr 2012 abgerissen werde. Tradition und Nostalgie. Die Überlieferung einer Erinnerung. Hier hatten Vater und Tante gelebt, von diesen Fenstern aus hatte der kleine Pit den hauptstädtischen Fackelzug mit leuchtenden Augen verfolgt. Bald würde all dies Geschichte sein.
Somit überschattet ein Hauch Wehmut die letzten Wochen im alten Büro. Allzu eng ist die Chronik der Firma mit Pit Hentgens Familiengeschichte und Identität verwoben. Aber auch nach dem Umzug wird er sich auf die Säulen seiner Vergangenheit besinnen: Intensiv beschäftigt sich der Geschichtsfreund mit Genealogie und Ahnenforschung. Sakrale Architektur, Klöster und Kathedralen, ein eigens renoviertes Wegekreuz... sind schlichtweg seine Passion. Kaum verwunderlich, dass der Firmenchef historische Romane bevorzugt. Ken Follett und Rebecca Gablé gehören zu seinen Lieblingsautoren.
Inzwischen sind wir im Keller angekommen. Der ideale symbolische Ort, mit Pit Hentgen noch einige Worte über die Gründerjahre und Ursprünge der Lalux zu wechseln. 1920 rief ein junger Anwalt aus Roedgen namens Aloyse Hentgen mit ehemaligen Mitgliedern der Regierung Loutsch eine Bank und Versicherungsgesellschaft ins Leben. Von Anbeginn fühlte sich das junge Unternehmen christlich-humanistischen Werten verpflichtet. Seither hat sich die säulenfeste Firmenphilosophie - bei gleichzeitiger Weiterentwicklung und Modernisierung - bewährt.
Ich verabschiede mich von Pit Hentgen.
Rotgolden schimmert die Fassade in der Abenddämmerung, strahlt von innen heraus: Viele Lamellen hat man perforiert und mit Leuchtdioden versehen. Wellenartig spiegeln sich die feinen Lichtsäulen auf den Wasserflächen am Haupteingang. Wie die Weizenähren bei Mondlicht auf dem Leudelinger Drosbach.
Was sehe ich jetzt?
Ein weites Feld der Ordnung und Klarheit?
Der Stabilität und Sicherheit?
Architektur als Identität?
Als Schauspiel und Erinnerung?
Wie dem auch sei: Der Rundgang mit Pit Hentgen durch sein neues Zuhause in den Leudelinger Wiesen hat gezeigt, dass Tradition und Moderne effizient miteinander harmonieren können. Felsenfest ruhen sie auf diesen beiden Polen: die beinahe hundertjährigen Säulen des Erfolgs der Versicherungsgesellschaft Lalux.


Chantal Lorang

lorang.chantal@education.lu