Drohender Ärztemangel und fehlende Integration der angehenden luxemburgischen Ärzte – die ALEM setzt große Hoffnungen in die neue Gesundheitsministerin

Vor drei Jahren publizierte die ALEM (Association Luxembourgeoise des Etudiants en Médecine) die ‚Démographie médicale du Luxembourg‘, die damals schon auf den drohenden Ärztemangel von Allgemeinmedizinern und Spezialisten hinwies. Auch die Association des Médecins et Médecins-Dentistes (AMMD) warnte in dieser Hinsicht. Mit Besorgnis muss die ALEM heute feststellen, dass nach wie vor große Ratlosigkeit im Hinblick darauf besteht, wie die in dieser Studie thematisierten Problematiken, auf politischer Ebene angemessen bewältigt werden können. Immerhin kam es zu drei parlamentarischen Anfragen seitens der CSV, ADR und DP. Die Antwort des Gesundheitsministeriums fiel bisher jedoch sehr besänftigend aus und ein drohender Ärztemangel wurde nicht bestätigt. In der ‚Démographie médicale du Luxembourg‘ konnte die ALEM, aufgrund internationaler Zahlen sowie von Daten aus dem Gesundheitsministerium statistisch belegen, dass ein Ärztemangel ab 2020 auf Luxemburg zukommen wird. Bestätigt wurden die Analysen von den Kommentaren der jeweiligen Ärzterepräsentanten. Verblüfft waren damals die Medienvertreter unteranderem auch, weil diese Analysen von einer Studentenvereinigung erbracht wurden und nicht wie in allen anderen Ländern üblich, von einer staatlichen Instanz.

Warum Ärztemangel?

Eine Auflistung von Hauptfaktoren befindet sich in Tabelle 1. Auf die aktuellen Fragestellungen hin hat die ALEM die Daten der ‚Démographie médicale 2011‘ erneut analysiert. Zusätzlich wurden Statistiken der Inspection Générale de la Sécurité Sociale (IGSS) herangezogen, um die Alterspyramide neu zu bewerten und zu gewichten. Die Bilanz der neuen Erkenntnisse ist ernüchternd:
Das Gesundheitsministerium erklärt sich die starke Ausprägung der Alterspyramide bei den 50-60 jährigen damit, dass es sich um ein normales Phänomen handelt – bedingt durch die lang andauernde Ausbildung (zwischen 9 und 14 Jahren) und den Zustrom ausländischer Ärzte, die erst ab einem gewissen Alter nach Luxemburg kämen. Dem spricht dagegen, dass dieser Gipfel der 50-60 jährigen stetig fortschreitet und ab 2020 in einer Welle von Pensionierung enden wird. (Abbildung 1) Der immer geringer ausfallende luxemburgische Nachwuchs an Fachärzten und Allgemeinmedizinern wird zurzeit nur noch durch eine vermehrte Einwanderung von ausländischen Fachkräften maskiert! (Abbildung 2)
In Deutschland sind momentan 60% der Medizinstudenten weiblich. Auch der luxemburgische Ärztenachwuchs ist größtenteils weiblich. (Abbildung 2) Von diesem Trend (Gendershift genannt) ist das Großherzogtum besonders betroffen da es mit rund 68% (Stand 2010) europaweit den höchsten Anteil an Männern im Arztberuf besitzt. (Abbildung 3) Im gleichen Atemzug muss der Generationen- und damit Mentalitätswechsel genannt werden. Die moderne Rollenverteilung in der Gesellschaft ist nur möglich mit dynamischen Arbeitszeiten von weiblichen und auch männlichen Ärzten. Somit kann ein Arzt, der sich in den Ruhestand verabschiedet, nicht unbedingt durch einen einzigen jungen Mediziner ersetzt werden, nach dem Motto ‚man lebt nicht mehr um zu arbeiten, sondern man arbeitet um zu leben‘.
Obwohl man im Arztberuf nicht mit 65 Jahren in die Rente gehen muss, beenden doch die meisten laut den Statistiken, ab genau diesem Alter ihre Laufbahn. Die wenigen die länger arbeiten, können den angehenden Ärztemangel nicht stemmen.

Aus den Augen aus dem Sinn

Die Ausbildung zum Arzt dauert 9-14 Jahre, davon sind die ersten 6-7 Jahre dem Grundstudium zugeordnet, weitere 3-8 Jahre werden für die Facharztausbildung benötigt. Für Luxemburger ist fast die ganze Medizinerausbildung obligatorisch im Ausland und diese Tatsache erschwert eine vorausschauende Nachwuchsplanung. Das luxemburgische Gesundheitswesen verliert fast gänzlich den Kontakt mit seinen potentiell zukünftigen Ärzten. Lediglich das Centre de Documentation et d'Information sur l'Enseignement Supérieur (CEDIES) besitzt, durch die Studienbeihilfen, Kontaktdaten der meisten Medizinstudenten. Warum sind diese Kontaktdaten ein wichtiger Bestandteil in der Prävention des drohenden Ärztemangels?
Viele Medizinstudenten sind am Ende ihres Grundstudiums noch nicht ganz sicher in welchem Fachgebiet sie sich weiterbilden wollen. Eine Expertenanalyse der zukünftigen Entwicklung der luxemburgischen Ärzteschaft könnte Endscheidungshilfe leisten. Die ALEM spricht sich ganz klar gegen eine Planung aus, die den Zugang von neuen Ärzten in der Art und Weise beschränkt wie es in Belgien und Frankreich oft zu Problemen führt. Jedoch müssen die luxemburgischen Medizinstudenten zumindest im Vorfeld informiert werden, in welche Richtung sich das luxemburgische Gesundheitswesen entwickelt. Dies wäre mit Hilfe von CEDIES möglich. Darüber hinaus ist der Kontakt zu den Assistenzärzten (médecins en voie de spécialisation) von eminenter Bedeutung. In einem Arbeitspapier bezifferte die EU-Kommission den EU-weiten Ärztemangel mit 230.000 fehlenden Medizinern im Jahre 2020. In diesem Umfeld gilt es entweder vermehrt Mediziner auszubilden, eine Tendenz, die sich in keinem unserer Nachbarländer abzeichnet, oder den kommenden Nachwuchs besser zu koordinieren. Zurzeit werden offene Stellen in luxemburgischen Krankenhäusern meist erfolglos in luxemburgischen Zeitschriften ausgeschrieben. In einem zweiten Schritt werden die Stellenanzeigen an ausländische Ärzteblätter geschickt, womit der luxemburgische Nachwuchs kaum erreicht wird. Ein Informationssystem könnte hier wertvolle Dienste leisten z.B. dahingehend eine Koordination ermöglichen, die es erlaubt, dass Ärzte, die den Ruhestand beanspruchen, von einem potentiellen Nachfolger nach Abschluss der Fachausbildung abgelöst werden. Außerdem könnte man die Assistenzärzte viel früher für Projekte mit luxemburgischen Krankenhäusern begeistern und so eine Vernetzung mit renommierten ausländischen Forschungsinstitutionen herstellen – ein wichtiger Aspekt, zumal Luxemburg in der Medizin und in der biomedizinischen Forschung zukünftig eine Kernrolle in der Großregion anstrebt. Ausländische Fachkräfte haben noch immer eine sehr wichtige Rolle in der Entwicklung Luxemburgs gespielt und spielen es nach wie vor, jedoch zeigt der Trend der Statistiken einen beunruhigenden Rückgang an jungem luxemburgischem Ärztenachwuchs. Das Problem der adäquaten Verständigung, die im medizinischen Bereich von primärer Bedeutung ist, kann durch die Vielfalt der Sprachen zunehmend nicht mehr optimal gewährleistet werden.

Wie Überzeugungsarbeit Lösungsansätze verzögert

In der Antwort auf die parlamentarischen Fragen sprach das Gesundheitsministerium von einer ‚valeur négligeable‘ bezüglich der Kandidaten, die für so ein Informationssystem in Frage kämen. Die Realität sieht jedoch anders aus. Bereits 2010 registrierte CEDIES rund 700 Medizinstudenten für die Studienbeihilfen. Da diese Medizinstudenten auch irgendwann Assistenzärzte werden, würden sich über die Zeit mehr als 1000 potentielle Kandidaten identifizieren lassen. Laut deutschen Statistiken brechen nur 14% der Mediziner ihr Studium ab. Im Rahmen einer Umfrage ermittelte die ALEM, dass ungefähr 16% der luxemburgischen Medizinstudenten sicher im Ausland bleiben wollen und weitere 14% noch nicht ganz entschlossen sind. Wenn man letztlich ungefähr 30% von den über 1000 potentiellen Kandidaten abzieht, hat man eine für Luxemburg in hohem Maße relevante Anzahl von Mediziner in Ausbildung, die von einem Informationssystem profitieren könnte.
In der Tat haben wir in Luxemburg momentan keinen Ärztemangel und auch die Ärztedichte steigt kontinuierlich an. Dies ist jedoch ein schwacher Trost für ein Land, das weit unter der durchschnittlichen europäischen Ärztedichte liegt (Luxemburg: 2,7 / EU: 3,3 Ärzte pro 1000 Einwohner, Stand: 2008-2009). Europaweit wird schon längst mit den kreativsten Methoden aktiv um Ärzte geworben (z.B. hohe finanzielle Förderungen bei der Niederlassung als Allgemeinmediziner in ländlichen Gebieten, Krankenhausmessen in Grenzgebieten, Bewerbungsgespräche über Skype, Ärzteagenturen...usw.), vorne dabei auch unsere Nachbarländer. Letztere gehen jedoch offen mit dem Thema Ärztemangel um, obwohl diese, anders als Luxemburg, ihre Mediziner aus eigener Quelle schöpfen können. Je später in der Karriere eines Mediziners Luxemburg um seine Ärzte wirbt, umso mehr bindet die soziale Situation diese ans Ausland.
Die ALEM hatte am 12. September ein Treffen mit der Gesundheitsministerin Mutsch und mit Vertretern des Gesundheitsministeriums. Die ALEM ging bei dieser Gelegenheit eingehend auf die hier geschilderte Problematik ein. Zusätzlich hat die ALEM darauf hingewiesen, dass sie in Zukunft keine Ärztedemographie mehr ausarbeiten wird. Diese maßgebliche Aufgabe obliegt, so wie es im Ausland auch gehandhabt wird, staatlichen Instanzen oder wissenschaftlichen Instituten. Die ALEM begrüßt die Bereitschaft der Gesundheitsministerin, ein gemeinsames Treffen mit dem Hochschulministerium, das auf die Erarbeitung eines Informationssystems für Mediziner hinzielen soll, in die Wege zu leiten. Hoffnung macht sich die ALEM besonders in Hinsicht auf das im Regierungsprogramm enthaltene Versprechen, vom Aufbau eines ‚Observatoire de la Santé‘, welches das Angebot und die Nachfrage von Medizinern analysieren soll, um anschließend die angehenden Mediziner über das Hochschulministerium zu informieren. Ein solches System ist weitaus weniger kostspielig als die Gründung einer medizinischen Fakultät, jedoch ist auch eine ‚Luxembourg Medical School‘ wichtig für die zukünftige Autonomie des Landes im Bereich der Medizin. Letztendlich stellt sich die Frage: Müssen wir erst darauf warten bis dieses ‚Observatoire de la Santé‘ seiner Bestimmung nachkommt, das Ministerium endgültig vom Ärztemangel zu überzeugen, damit dann erst adäquate Maßnahmen ergriffen werden?


Autor: Sébastien RINALDETTI
Porte-Parole ALEM